01. Panta Rhei - Aus und vorbei (4:40) 02. Günther Fischer & Band - Hochzeitsnacht (2:08) 03. Ekkehard Sander-Septett - Alle Wege... (2:52) 04. Veronika Fischer - Schönhauser (3:08) 05. Holger Biege - Septemberliebe (3:40) 06. Manfred Krug - Wenn es draußen grün wird (2:18) 07. Angelika Mann - Kutte (4:14) 08. Uve Schikora Combo - Oh, Angela (4:47) 09. Lift - Wenn (3:13) 10. Horst Krüger-Band - Die Allee (4:37) 11. Gerd Michaelis Chor - Es bleibt die Sonne (3:21) 12. Electra - Über Feuer (6:44) 13. Modern Soul Band - Nochmal klein sein (4:15) 14. Frank Schöbel - Schreib es mir in den Sand (5:36) 15. Hansi Biebl Band - Es gibt Momente (5:07) 16. Günther Fischer & Band - Wenn es so ist (4:01) 17. Joco Dev Sextett - Stapellauf (4:18) 18. Günther Fischer Band - Ballade im Hinterhaus (Aus dem Film "Glück im Hinterhaus") (3:17)
CD 2
01. Max Herre - Aus und vorbei (3:33) 02. Max Herre - Das war nur ein Moment (3:59)
Amiga ist 75 Jahre alt. Doch der Katalog des einflussreichen Ost-Labels ist so relevant wie nie zuvor. Mit Max Herre und Dexter haben sich zwei wichtige Protagonisten der deutschen Hip-Hop-Szene daran gemacht, einen ganz besonderen Abschnitt der Label-Historie zu beleuchten: Die 1970er-Jahre. Eine Zeit, in der akademisch ausgebildete Musiker*innen in hochwertigen Studios progressive, mutige Platten aufnahmen – mit emotionalen, lyrischen Texten und mit deutlichen Einflüssen aus der reichen Funk-, Soul-, Rock- und Blues-Tradition des Schwarzen Amerikas.
Musikalisch konnten die DDR-Akteur*innen dieser Zeit ihren Vorbildern aus dem Westen in Sachen Virtuosität längst nicht nur das Wasser reichen. Außergewöhnliche Songwriter wie Holger Biege, Hansi Biebl oder Uve Schikora trafen auf großartige Sängerinnen wie Veronika Fischer, Uschi Brüning oder Regine Dobberschütz; mittendrin der charismatische Manfred Krug und an seiner Seite der Ausnahmekomponist und -arrangeur Günther Fischer. Sein Repertoire verdient eine eigene Werkschau, so vielseitig und reich waren seine Kompositionen nicht nur für Krug, sondern auch für die eigenen Bandprojekte sowie für Film und Fernsehen.
»Hallo 22« setzt eine legendäre Reihe von Kompilationen auf Amiga fort. »Hallo Nr. 1« erschien 1972, und so schließt sich ein Kreis über 50 Jahre. Doch Amiga wurde schon 25 Jahre früher gegründet, nämlich 1947 als »Lied der Zeit«. Die Ost-Berliner Plattenfirma veröffentlichte ursprünglich vor allem Aufnahmen des Schauspielers Ernst Busch. 1953 wurde sie in Volkseigentum überführt, 1955 in »VEB Deutsche Schallplatten« umbenannt und dem Kulturministerium der DDR unterstellt. Fortan war sie das einzige Unternehmen mit einer Herstellungs- und Vertriebslizenz für Tonträger und einer zusätzlichen Monopolstellung beim Import und der Lizenzierung von ausländischen Tonträgern.
Amiga, neben Eterna eines der beiden großen Labels der VEB Deutsche Schallplatten, veröffentlichte ein breites Repertoire von Volksmusik bis Musical, Schlager bis Chansons, Liedermacher bis Folklore und Jazz bis Rock/Pop. Ursprünglich war Amiga ins Leben gerufen geworden, um eine
»DDR-typische Kulturlandschaft« im Sinne der SED-Führung zu entwickeln – ohne »dekadente westliche Einflüsse«. In der Praxis jedoch waren die DDR-Künstler*innen spätestens ab den späten 1960er Jahren von Funk, Soul, Rock, Blues und anderen westlichen Musikrichtungen geprägt, wie man eindrucksvoll auf »Hallo 22« hört. Ganz offensichtlich hielt sich die direkte Einflussnahme der SED-Parteiführung auf das Amiga-Programm sehr in Grenzen, auch wenn einzelne Künstler*innen durchaus von Einschränkungen berichten, was etwa die textliche Gestaltung anging. Sie mussten sich subtile, kreative Wege einfallen lassen, um kritische Botschaften geschickt zu chiffrieren.
Einige der populären Amiga-Künstler*innen reisten in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren aus der DDR aus, darunter auch Manfred Krug. Doch die Musik dieser kreativen Hochphase überdauerte das System und fand nach der Wende alte wie neue Fans, vor allem in der noch jungen deutschen Hip-Hop-Szene. Dort war man stets auf der Suche nach musikalischem Sample-Material, vornehmlich aus den musikalisch prägenden 1960er- und 1970er-Jahren. Nachdem die Archive des amerikanischen und britischen Funk und Soul längst geplündert waren, boten die Amiga-Archive jener Zeit einen neuen Fundus an Aufnahmen von extrem hoher Qualität.
Max Herre war eine der wegweisenden Figuren der frühen deutschen Hip-Hop-Geschichte. Aufgewachsen in Stuttgart, gelang dem Rapper, Songwriter und Musiker schon in den 1990er-Jahren mit seiner Gruppe Freundeskreis der kommerzielle Durchbruch. In den letzten 20 Jahren verfolgte er eine Solokarriere mit mehreren Gold- und Platinalben (u.a. »Hallo Welt!« 2012 und das MTV-Unplugged-Konzert »Kahedi Radio Show« 2013). Auf seinem jüngsten Album »ATHEN« (2019) samplete Max ein Stück von Panta Rhei und Veronika Fischer, doch die Musik von Amiga spielt für ihn schon viel länger eine wichtige Rolle.
Ursprünglich wurde Max nicht mit deutschsprachiger Musik, sondern mit Reggae und Soul sozialisiert, auch wenn es gewisse Ausnahmen gab, etwa Udo Lindenberg und Ton Steine Scherben. Die erste Berührung mit DDR-Musik erfolgte Mitte der 1990er Jahre, als Max regelmäßig den Hi-Club in Stuttgart frequentierte, wo DJ Andreas Vogel zwischen Soulmusik von James Brown und Al Green durchaus auch mal den einen oder anderen Amiga-Song von Manfred Krug & Günther Fischer oder dem Gerd Michaelis Chor spielte. »Da habe ich zum ersten Mal Funk- und Soulmusik auf Deutsch gehört«, erzählt Max. »Trotzdem blieb die Party am Kochen. Das war keine reine Kuriosität, sondern richtig cooler Sound. Ich habe natürlich gleich am DJ-Pult nachgefragt, was das ist.«Einige Jahre später, zu Beginn der 2000er-Jahre, zog Max nach Berlin und war fortan viel auf den dortigen Flohmärkten unterwegs. Hier kaufte er jede Menge Amiga-Platten – wenn etwa Günther Fischer als Produzent beteiligt war, wusste Max, dass es sich lohnen dürfte; andere Platten wie die von Hansi Biebl kaufte er auf gut Glück, weil ihm das Cover gefiel. Ähnlich wie Max und seine Weggefährten früher nach raren Soul- und Funk-Platten gesucht hatten, die von ihren amerikanischen Hip-Hop-Vorbildern gesamplet worden waren, galt es nun die Amiga-Schätze der 1970er-Jahre zu heben –immer unter der Maßgabe, ob man Versatzstücke von diesen Platten für das Mosaik der eigenen Musik verwenden konnte.
Seitdem hat Max Herre immer wieder prominente Ostrock-Referenzen in seine Musik eingebaut. Auf seinem ersten, selbstbetitelten Soloalbum (2004) coverte er den 1977er Song »King vom Prenzlauer Berg« von der DDR-Band City. Max’ Neuinterpretation des Titels funktionierte zu dieser Zeit als ironischer Kommentar zum massiven Zuzug von Westdeutschen, die den linksalternativ-intellektuell-künstlerisch geprägten Ost-Berliner Stadtteil vereinnahmt hatten. Plötzlich war es ein Song über den neuen Ost-Berliner, »Typ Kastanienallee«, lacht Max. 15 Jahre später, auf seinem Soloalbum »ATHEN«, verwendete er wieder ein Amiga-Stück: »Nachts« enthielt ein prominentes Versatzstück des gleichnamigen Songs von der DDR-Band Panta Rhei mit dem ergreifenden Gesang von Veronika Fischer. Im Zuge des 30-jährigen Jubiläums der Wiedervereinigung spielten Herre und Fischer die neue Version sogar live in der ZDF-Kultursendung »aspekte«.
Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Max aus seiner Bewunderung für den Amiga-Sound der 1970er-Jahre nie einen Hehl gemacht hat. Auch der Kuration dieser Kompilation näherte er sich primär über seine glühende Liebe zu dieser Musik. Um die Auswahl der Songs abzurunden, holte er noch einen weiteren Bekannten aus der deutschen Hip-Hop-Szene an Bord, der als Sammler rarer und obskurer Funk-Schlager bekannt ist: Felix »Dexter« Göppel ist zehn Jahre jünger als Herre, stammt jedoch ebenfalls aus Süddeutschland, denn seine Wurzeln liegen in der Heilbronner Untergrund-Rap-Szene. Sein Instrumental-Album »Hi-Hat Club Vol. 3: The Jazz Files« (2010), aber auch seine Kollaboration mit Suff Daddy und Brenk Sinatra als Supergroup »Betty Ford Boys« waren extrem einflussreich für die deutsche Beat-Szene. Ab 2014 trat Dexter auch als Rapper in Erscheinung und veröffentlichte mehrere Soloalben; daneben produzierte er u.a. für Künstler wie Casper, Cro oder Fatoni.
Dexter hatte schon seit seinen Anfängen im Hip-Hop eine »Digger-Mentalität«, wie er das nennt – nie wurde er müde, auf Flohmärkten und Plattenbörsen nach schwarzem Gold zu suchen, das er möglicherweise für seine Tracks samplen könnte. Die Musik von Manfred Krug kannte er aus dem Elternhaus, dann hörte er 2003 einen Song auf dem legendären »Funkvergnügen«-Mixtape von DJ Marc Hype & Katmando im Kontext mit anderen Funk- und Soul-Songs jener Zeit. »Da bin ich richtig tief in den Amiga-Katalog eingestiegen, auch in die 7-Inch-Reihe von DT64, dem Jugendradiosender der DDR«, erzählt Dexter. »Die Ostdeutschen haben den Soul, Funk und Jazz der Amis meines Erachtens besser kopiert als die Westdeutschen, aber sie haben vor allem einen sehr eigenen Sound entwickelt.«
Dexter hörte nie auf zu »diggen« – Zeugnis dieser Leidenschaft ist ein enormes digitales Sammelarchiv, das er auch über den Instagram-Blog »Crates Of Dexy« dokumentiert. »Max hat das offenbar mitbekommen und sprach mich an, ob wir uns nicht mal treffen wollen«, sagt er. Als Max zu Dexter in seine alte Heimat Stuttgart reiste, gingen sie gemeinsam mehrere Tage lang dessen umfangreiche Sammlung durch. Dabei suchten sie nicht nur nach Songs, die Funk-Breaks oder andere Hip-Hop-typische Passagen aufweisen, sondern Songs, die textlich, musikalisch und vom Arrangement her zeitlos und stark genug waren, dass sie heute noch für sich stehend funktionieren. »Max hat eine andere Perspektive auf den Amiga-Katalog, eher song-orientiert«, so Dexter. »Von ihm kamen die Songs von Holger Biege oder Hansi Biebl, während ich eher aus DJ-Perspektive darauf schaue und die Songs von Ekkehard Sander oder electra ausgewählt habe.«
So ist »Hallo 22!« zu einer beeindruckenden Werkschau geworden, die vor allem die hohe Qualität der DDR-Produktionen der 1970er-Jahre in den Mittelpunkt rückt. Hier spielen mehrere Faktoren eine wichtige Rolle: Einerseits musste man als Berufmusiker*in in der DDR eine »Spielerlaubnis« erwerben, und diese Lizenz bekam man meist nur, wenn man an einer der vier Musikhochschulen Ost-Deutschlands studiert hatte. Daraus resultiert eine gewisse Grundvirtuosität der Musiker*innen, die oft Einflüsse aus komplexeren Musikrichtungen wie Jazz, Klassik und Progressive Rock einbrachten. Außerdem hatte Amiga als Quasi-Monopolist einen Zugriff auf staatliche Mittel, was die Einrichtung von Studios auf höchstem Qualitätsstandard der Zeit ermöglichte. Viele der Amiga-Produktionen aus jener Zeit klingen auch heute noch unglaublich hochwertig.
Interessanterweise spielten Frauen in der damaligen DDR-Musikszene offenbar eine wichtigere Rolle als im vermeintlich emanzipierten Westen. Während man die relevanten weiblichen Künstlerinnen der BRD in dieser Zeit noch an einer Hand abzählen konnte, war es kein Problem, die Titelliste dieser Kompilation zumindest auf stimmlicher Ebene nahezu paritätisch zu besetzen. Dieser Aspekt spielte für Max und Dexter eine entscheidende Rolle nicht nur bei der Auswahl der Songs, sondern auch beim Sequencing. Nicht zuletzt war es ihnen wichtig, einen Querschnitt der musikalischen und inhaltlichen Vielfalt auf Amiga zu bieten – von Funk und Soul über rockige und bluesige Nummern bis hin zu Produktionen mit Soundtrack- und Library-Charakter.
Hallo! 22 ist eine liebevolle Zusammenstellung von 18 Songs, handverlesen von Max Herre und Dexter, die hiermit eine spezielle Ära des Amiga-Katalogs zelebrieren: DDR-Funk und Soul der 1970er-Jahre, vielseitig und progressiv, qualitativ ambitioniert und emotional tiefgehend.
Der Kompilation liegt eine exklusive 7-Inch bei, auf der Max Herre und Dexter zwei Songs der Amiga-Ära neu bearbeitet haben. Auf der A-Seite gibt es ihre ganz eigene Version des Panta-Rhei-Klassikers »Aus und vorbei« zu hören: Max gibt den Storyteller, während Dexter das rohe Rock-Break des Originals auf jene unnachahmliche Weise loopt, das ihn in die Nähe von US-Kollegen wie The Alchemist oder Madlib rückt. Die B-Seite »Das war nur ein Moment« ist ein tiefgründiger, melancholischer Song, in dem Max verschiedene Episoden seiner Karriere und seines Privatlebens rückblickend verarbeitet. Der musikalische Loop stammt aus einem Titel von Manfred Krug und Günther Fischer (»Das war nur ein Moment«).